Geschlecht, Ge(h)-schlechter, am Geschlechtesten

23. Mai 2021 0 Von Boris Biba

Ich hab lange überlegt, ob und wie ich dieses Thema angehe, aber es begegnet mir in letzter Zeit öfter und ich bin nicht drum herum gekommen, mir Gedanken dazu zu machen. Also – hier sind sie:

Was ist ein Geschlecht?

Um das mal aus meiner Sicht zu formulieren, ein Geschlecht ist eine Eigenschaft eines Menschen. Wer meinen Text zur Identität und den Eigenschaften anhand derer sich Menschen Identifizieren kennt, der/die weiß vielleicht jetzt schon, worauf das hier hinausläuft. Da sich Menschen aber eben stark an ihrem oder dem Geschlecht der anderen orientieren, will ich auf dieses Merkmal nochmal extra eingehen.

Wie die meisten menschlichen Eigenschaften, so ist auch das Geschlecht etwas, das von uns mit Werten, Erwartungen und Rollenbildern beladen wird. Der Natur ist das alles ziemlich egal, die existiert halt so rum, wie sie rumexistiert. Ob nun die männlichen Geschenke der Schöpfung meinen, sie wären den Furien der Venus überlegen – oder ob die Göttinnen des Olymp sich über den hohlen Muskelprotz emporschwingen. Das sind rein menschliche Einbildungen. Wenn ein Kind mit Schnidel oder Mumu oder (keins von) beidem geboren wird, dann ist es eben da. Ganz egal, wie es bezeichnet wird oder welche Eigenschaften man ihm (nicht) zuschreibt.

Und damit ist das Wichtigste gesagt – aber natürlich kann man noch mehr darüber sagen 😛

Unsere Gesellschaft

Unsere Gesellschaft ist nun, aus Gründen, relativ unflexibel was den Umgang mit Dingen angeht, die sie nicht klar zuordnen kann. Das liegt unter anderem an den Strukturen, die über Jahrhunderte entstanden sind – und die z.B. in bürokratischen Formularen gipfeln. Es gibt inzwischen einige Ansätze, dass diese Strukturen sich langsam an die natürlichen Existenzen anpassen z.B. mit der Möglichkeit der Eintragung von “divers” als Geschlecht. Das kann man doof finden – aber das wäre ungefähr so, als würde man es doof finden, dass es Seepferdchen gibt. Sie existieren – egal ob man sie doof findet oder nicht und sie verschwinden auch nicht, nur weil man ihnen keinen oder einen falschen Namen gibt.

Fairness und Gleichberechtigung

Das ist wohl der Teil dieses Textes von dem viele Gedankengänge am weitesten entfernt sind – weshalb er wohl auch der komplizierteste Teil wird:

Es gibt Männer, die wünschen sich eine Frau zu sein und es gibt Frauen, die wollen ein Mann sein. Das ist an sich nicht problematisch – außer man lebt in einer Gesellschaft, die sich wie oben beschrieben schwer mit Dingen tut, die nicht in die vordefinierten Strukturen passen. Männlich und Weiblich sind Eigenschaften, die ihrerseits wieder bestimmte Eigenschaften bzw. Merkmale zugewiesen bekommen. Und zwar einen ganzen Haufen davon. Und wenn diese Eigenschaften jetzt nicht passen auf eine Person, die dem Erscheinungsbild nach das eine oder das andere sein “müsste” – tja, dann ist das ein oder andere Gehirn überfordert.

Das Einfachste und zugleich Schwerste wäre ja nun, die Person so zu sehen wie sie ist – und nicht von Anfang an mit einer Erwartungshaltung aufgrund von Äußerlichkeiten auf sie zuzugehen und ins Straucheln zu kommen, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Einfach wäre das deshalb, weil es uns befreien würde von so vielen Zwängen und Gedanken, Pflichten und Handlungsmustern, die eigentlich nicht unserer Natur entsprechen, sondern die wir uns selbst und gegenseitig auferlegen und beibringen und welche wir im schlimmsten Fall “Kultur” nennen. Wir müssten nicht überrascht sein oder uns wundern, wenn sich jemand anders verhält als gedacht, denn wir hätten ja vorher nicht “gedacht”. Wir könnten uns ganz frei auf das einlassen was passiert – statt uns den Kopf darüber zu zerbrechen, was am wahrscheinlichsten passiert. Schwer ist es deshalb, weil wir wenig Einfluss darauf haben, was uns beigebracht wird, wie und was wir lernen. Wo und wann wir uns wie mit welchen Mitmenschen umgeben und welche Gedanken ausgesprochen oder nicht ausgesprochen werden. All diese Erfahrungen – bewusst oder unbewusst – prägen uns, aber sie befreien uns nicht von unserer Verantwortung, diese Prägung zu hinterfragen. Menschen planen, sie machen sich Gedanken darüber wie andere reagieren, wie sich andere fühlen oder welche Gedanken andere Menschen haben und wie sie selbst damit umgehen. Das ist ja auch in vielen Bereichen sinnvoll. Aber es ist ein Problem – wenn wir diese Gedanken auf vordefinierte Eigenschaften (männlich/weiblich) stützen, die wir anderen zuschreiben – ohne zu wissen, ob sie diese Merkmale – mit denen wir die Zuschreibungen “männlich” und “weiblich” beladen – wirklich besitzen.

Bis es wirklich fair zwischen Menschen verschiedener (oder auch gleicher) Geschlechter zugeht und bis alle gleichberechtigt sind wird es leider noch eine ganze Weile dauern. Denn dafür müsste die Eigenschaft des Geschlechts bzw. das Geschlecht an sich als Identitätsmerkmal wesentlich an Macht verlieren. Es muss in den meisten Belangen egal werden. Das Sammelsurium an Eigenschaften die “weiblich” und “männlich” sind müssen von diesen Begriffen gelöst werden und frei den Personen jeden Geschlechts zugeordnet werden können ohne Bezug zum anderen Geschlecht, das dem Begriff eigentlich zugeordnet werden würde. Eine “starke Frau” darf ebenso wenig etwas Erwähnenswertes sein, wie ein “sensibler Mann” – schon diese Gegenüberstellung ist Teil des Problems. Jedenfalls dann, wenn die Betonung auf “Frau” und “Mann” liegt.

Ein gutes Beispiel wären vielleicht Medikamente, die bei dem einem Geschlecht anders wirken als bei einem anderen. Dass die Medikamente so oder so wirken hat mit dem Geschlecht (als Sammelsurium an Eigenschaften) nichts zu tun, sondern mit den darunter liegenden biologischen Eigenschaften, die ein Körper nun einmal haben kann oder eben nicht. Ob diese Eigenschaften nun speziell zu einem Geschlecht gehören oder nicht sollte eine untergeordete oder gar keine Rolle spielen. Entscheidend ist, dass man z.B. bei der Entwicklung eines Medikaments die verschiedenen biologischen Eigenschaften gleichermaßen berücksichtigt. Und dass es später in der Dosis verabreicht wird, die der jeweiligen Person am besten hilft (bzw. am wenigsten schadet).

Emotionen bei diesem Thema

Dieses Thema ist selbstverständlich sehr emotional – weil sich ja die meisten Menschen, wenn auch mit sonst nichts, immerhin mit ihrem Geschlecht identifizieren (wie schon mal erwähnt verkacken es die Menschen halt ganz nice mit ihrer Identität…). Und es ist so schön einfach, sich selbst oder andere einer der vermeintlich zwei (oder in fortgeschrittenen Denkmustern auch mehr) Gruppen zuzuordnen. Ist das passiert, ist jede Aussage die generalisiert über das eine oder andere Geschlecht getroffen wird, die aber nicht dem eigenen Empfinden entspricht eine persönliche Kriegserklärung – oder mindestens ein Grund zu widersprechen. Was ja auch oft richtig ist, aber dass das Problem an ganz anderer Stelle liegt… hoffte ich mit dem obigen Text aufzuzeigen 🙂