
“Warum wir den Eltern nichts schulden” – Ähh… Moment!
Vor einer Weile habe ich einen Artikel in der Süddeutschen gelesen. Es ging um einen (ich glaube) skandinavischen Philosophen, der eine bestimmte Haltung zur Eltern-Kind-Beziehung vertritt. Im Kern ging es darum, dass Kinder den Eltern nichts schuldig sind und dass das Verbundenheitsgefühl der Kinder zu den Eltern eher einem Stockholmsyndrom, also dem psychologischen Effekt dass eine Geisel Zuneigung zum Geiselnehmer entwickelt, entspringt als das es echte Zuneigung sei. Leider konnte ich den Artikel nicht wieder finden. Dafür habe ich aber bei der Suche danach etwas anderes gefunden. Ein Buch, mit dem Titel “Warum wir unseren Eltern nichts schulden” von Barbara Bleisch, ebenfalls eine Philosophin.
Weil das Thema gerade im Trend zu sein scheint, will ich es auch kurz einmal aufgreifen.
In ihrem Buch vertritt Bleisch die These, dass Kinder den Eltern grundsätzlich nichts schuldig sind und Eltern umgekehrt auch keine Ansprüche an die Kinder haben dürften. Das Stichwort ist hier “grundsätzlich”. Denn auch Bleisch räumt ein, dass man in guten Beziehungen Verpflichtungen hat, nur dass diese Verpflichtung eben nicht aus dem “Kind-sein” entspringt, sondern aus dem allgemeinen Verhalten in allen Beziehungen.
Dadurch widerspricht Sie natürlich dem Titel ihres Buchs, der wie ich vermute, ohnehin eher aus Marketinggründen so gewählt wurde.
“Warum Kinder ihren Eltern nichts schulden” – Die Antwort ist einfach und völlig trivial: Weil das “Kind-sein” an sich keine Aussage darüber trifft wie diese Kindheit war, bzw. wie gut oder schlecht sich die Eltern um ihr Kind gekümmert haben.
Natürlich schuldet ein Kind das von seinen Eltern ausgesetzt wurde, zur Kinderarbeit gezwungen oder anders misshandelt wurde nichts. Aber ein Kind das wohl behütet aufwächst, dessen Eltern sich alle Mühe geben für eine gute Ausbildung zu sorgen, dem Kind alle Freiräume zu ermöglichen und es materiell wie auch psychologisch unterstützen hat meiner Ansicht nach schon eine gewisse Verpflichtung den Eltern gegenüber. Und zwar nicht, weil es das Kind der Eltern ist, sondern weil ihm von anderen Menschen über lange Zeit seines Lebens geholfen wurde und es dafür mindestens Dankbar sein sollte. Wenn man dafür nicht dankbar ist, wofür bitte dann?
Die Formulierung “schulden” im Titel dieses Buches ist übrigens sehr unglücklich gewählt. In der Eltern-Kind-Beziehung sollte es nicht darum gehen wer wem wie viel schuldig ist. Es sollte nicht um eine Bilanzrechnung gehen, nach dem Motto, wenn du heute den Boden wischt bekommst du von mir nachher eine Umarmung oder wenn du an den Muttertag denkst, denke ich an deinen Abschlussball…
Diese Art der Beziehung ist meiner Meinung nach aber auch in anderen Bereichen wenig erstrebenswert, nicht nur bei Eltern-Kind sondern auch bei Freund-Freund oder zwischen Ehepartnern.
Es steht noch das platte Argument im Raum “das Kind habe ja nicht darum gebeten geboren worden zu sein und wenn die Eltern unbedingt ein Kind wollen, haben sie sich auch darum zu kümmern”. Bis zu einem bestimmten Punkt ist dieses Argument auch tragfähig… und zwar genau bis dahin, bis das Kind erwachsen ist. Will das Kind dann eigene Entscheidungen treffen und als eigenständiger Mensch wahrgenommen werden verringert sich dadurch die Verantwortung der Eltern für das Leben des Kindes. Es kann ja sein, dass es manches Kind ablehnt eigene Entscheidungen zu treffen und ein eigenes Leben zu wählen, aber dann kann es auch die Ansprüche der Eltern nicht zurückweisen, denn das kann nur ein eigenständiger Mensch.
Das Argument, man habe ja nicht darum gebeten geboren zu sein, hat noch einen ganz anderen gravierenden Fehler:
Man hat auch nicht darum gebeten nicht geboren zu werden. Man war nämlich noch nicht existent (jedenfalls nach beweisbaren Gesichtspunkten), man hat noch gar nichts gewollt oder nicht gewollt. Somit konnten sich die Eltern mit ihrer Entscheidung ein Kind zu bekommen auch nicht über einen bestimmten Willen hinwegsetzen. Meist kommt dieses Argument ja auch in Situationen in denen es gar nicht um diese erste Entscheidung geht, sondern eher um aktuelle Umstände. Da ist es sinnvoller über die aktuellen Umstände zu sprechen.
Also Fazit:
Kinder sind ihren Eltern genau so viel schuldig oder nicht schuldig, wie sie anderen Personen schuldig oder nicht schuldig wären, die sich so um sie kümmern wie es die Eltern tun/getan haben.
Eltern tragen die Verantwortung für die Kinder bis diese selbst Verantwortung für sich übernehmen (können).
Gesunder Menschenverstand halt…